„Bei uns gibt es keinen Weltumwelttag!“, so die Begründung der Ost-Berliner Polizisten, als sie Tom Sello, der mit einem harmlosen Pappplakat am Lenker durch die Hauptstadt fuhr, zum Anhalten zwangen. Sello, heute Mitarbeiter der Robert-Havemann-Gesellschaft, gehörte zu einer der ersten Umweltprotestgruppen, die ihre Anliegen in den frühen Achtzigerjahren auf die Straßen der DDR trugen.
Am 4. Juli 1982 radelt eine Freundesgruppe mit Mundschutz und Protestschildern aus dem Prenzlauer Berg über Mitte nach Friedrichshain – ein stummer Protest auf zwei Rädern gegen die Umweltsünden der DDR-Wirtschaft: tote Flüsse, saurer Regen und zementbestäubte Wälder. Begünstigt durch die politische Liberalisierung unter Erich Honecker und die offene Jugendarbeit der Evangelischen Kirche begannen sich Protestbewegungen schon in den Siebzigerjahren abzuzeichnen. Doch auch wenn sich die Evangelische Studentengemeinde (ESG) für den Umweltschutz einsetzte und ein schützendes Dach für die kritische Opposition bot, waren es erst Gruppen wie die um Tom Sello, die ihre Themen öffentlich artikulierten.
Der Kreis um Sello, Carlo Jordan und Harald Hauswald organisierte eine ganze Reihe von Protestaktionen. Es handelte sich dabei um riskante Unterfangen, die nicht selten in einer Auseinandersetzung mit der Volkspolizei oder gar dem Staatssicherheitsdienst endeten. Bekannt geworden ist vor allem die Geschichte Harald Hauswalds, dem – fälschlicherweise – die Organisation einer nicht autorisierten Fahrraddemo vorgeworfen wurde. Es folgte die Einrichtung des operativen Vorgangs ‘Radfahrer’, der die Überwachung des nun als DDR-Staatsfeind eingestuften Fotografen einleitete.
Während frühere oppositionelle Protestgruppen als konspirativ eingestuft und daher zügig aufgelöst worden waren, handelte es sich bei dem Kreis um Sello, Jordan und Hauswald um eine Gruppe mit fester Struktur, die nicht nur politischer Wille, sondern auch Freundschaft verband. Tom Sello spricht vom Beginn einer „dezentralen Vernetzung“, die von den Behörden schwerer zu durchschauen und zu kontrollieren war. Diese zunehmende Vernetzung führte schließlich zur Entstehung der großen Oppositionsgruppen der DDR. So wurde in den Kellerräumen der Zionskirche 1986 die Umweltbibliothek gegründet, die der Opposition einen neuen Treffpunkt bot und ab 1987 die kritische Zeitschrift Umweltblätter veröffentlichte.
In den frühen Achtzigerjahren der DDR wandelt sich das Fahrrad in ein politisches Instrument und verkörpert eine Umweltsensibilität, die sich allmählich in der breiten Bevölkerung entwickelte. Das Fahrrad verband auch die Gruppe um Tom Sello. In Erinnerungen schwelgend schwärmt er, Carlo Jordan habe sie regelmäßig auf sein Grundstück im Boitzenburger Land eingeladen. Es sei ein Refugium gewesen, in dem sich der Freundeskreis ohne Strom und fließend Wasser bei Kerzenschein versammelte. Und dorthin ist die Gruppe immer wieder gern gefahren – natürlich mit dem Fahrrad.
- Thema
- FahrradstadtBerlin
- Schlagwörter
- Achziger, DDR, Fahrrad, Fahrraddemo, Fahrräder, Ost-Berlin, Protest, Umwelt
- Jahr
- 4. Juli 1982
- Periode
- Die Achtziger (1980-1989)
- Nutzungsinformationen
- cba Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen
Diese Geschichte zitieren
“Stummer Protest auf zwei Rädern – Eine Fahrrad-Demonstration gegen die Umweltsünden der DDR,” Berliner Grossstadtgeschichten, accessed 24. Januar 2025, https://grossstadtgeschichten-berlin.de/items/show/925.