„Der Markt gibt keine akzeptablen Modelle her, die sowohl den praktischen Erfordernissen als auch den gestalterischen Ansprüchen genügen“, so argumentierten die Bewohner des Hauses in der Jagowstraße 12 in Berlin-Moabit für ihren Ideenwettbewerb – gesucht wurde der Prototyp eines zeitgemäßen Fahrradständers. Wetterfest und diebstahlsicher sollte er sein, pflegeleicht und umweltverträglich. Und nicht zuletzt mußte er stabil genug sein, um wütenden Autofahrern standzuhalten, denn erstmals hatte ein Berliner Tiefbauamt die Genehmigung erteilt, einen Autoparkplatz in Stellraum für Fahrräder umzuwandeln. Den Initiatoren aus der Jagowstraße ging es darum zu demonstrieren, „daß man statt eines Autoparkplatzes viele Fahrradsabstellplätze schaffen kann.“

Im September 1988 wurde der Wettbewerb „Überdachter Fahrradständer“ ausgeschrieben. Jeder durfte mitmachen, ein Fahrrad für den Gewinner und Ledersattel als Trostpreise sollten den Ehrgeiz der Teilnehmer wecken. Insgesamt kamen 22 Vorschläge in Form von technischen Zeichnungen, Modellen und Gemälden zusammen. Die Jury setzte sich aus Vertretern der Politik und der Zivilgesellschaft zusammen: Dazu zählten ein Mitarbeiter des Tiefbauamts Tiergarten, ein Architekt des Baubüros Schöneberg, eine Freiraumplanerin und je ein Vertreter des ADFC, der Grünen Radler und des AK Verkehr und Umwelt e.V. sowie Mitglieder des Hausvereins „Leben und Wohnen im Kiez e.V.“, des B.U.N.D. und des Fahrradladens Velophil. Nach zwei Auswahlrunden standen die Gewinner fest. Der Entwurf der beiden Berliner Studenten Jörg Hermann und Ulrich Miedler von der TU und der TFH überzeugte: Ihr Ständer für sechs Fahrräder bestand aus recycelten Materialien wie ausgemusterten Stromschienenhaltern vom S-Bahn-Bau und Reststücken von Spundwänden, die Stahlkonstruktion des Daches ermöglichte ebenso wie die Seitenteile eine Begrünung und vereinte Nachhaltigkeit mit Praktikabilität.

Im Zusammenhang mit dem Wettbewerb konstatierte die Berliner Stimme: „Die Radfahrer sind eine gehetzte und verfolgte Minderheit.“ Auch wenn diese Beobachtung grundsätzlich zutraf, gewannen alternative Infrastrukturkonzepte gegenüber dem Leitbild einer ‚autogerechten Stadt’ seit den Siebzigerjahren zunehmend an Boden. Einen Fahrradständer anstelle eines Autoparkplatzes zu errichten, war einer der vielen Schritte gegen den motorisierten Individualverkehr, den der Berliner Senat so entschieden favorisierte. In der Geschichte des Fahrradständers vor dem ehemals besetzten und dann von den Bewohnern gekauften Haus in der Jagowstraße 12 spiegeln sich zeittypisch das wachsende Umweltbewusstsein der Bevölkerung und die Aktionsfreude privater Initiativen.

Dieser Fahrradständer ist nicht zum Prototyp geworden, sondern ein Solitär geblieben, von dessen Verbleib heute niemand mehr weiß. Damit bildet er einen flüchtigen Moment der sich beständig ändernden Berliner Verkehrspolitik ab, in dem sich das Fahrrad kurzzeitig einmal behaupten konnte – im Kampf um einen Parkplatz in Moabit.

Diese Geschichte zitieren

“Vom Autoparkplatz zum Fahrradstellplatz – Ein Wettbewerb für einen neuen Fahrradständer 1988,” Berliner Grossstadtgeschichten, accessed 26. März 2025, https://grossstadtgeschichten-berlin.de/items/show/942.
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1988
Überdachter Fahrradständer. Siegerentwurf 1988, Fotograf: unbekannt